Beziehungs-Engel

Kennen Sie den alten Hollywoodfilm «Die Blaue Lagune»? Ein Mädchen und ein Junge überleben einen Schiffbruch und landen auf einer einsamen Insel. Sie wachsen zusammen auf – und entdecken schliesslich die wachsenden Unterschiede zwischen sich. Sie wird zur Frau, er wird zum Mann. Bis sie ein Paar werden, müssen sie durch eine Menge Konflikte gehen, durch Unverständnis, Wut, Vorwürfe, Begehren. Und niemand ist da, bei dem sie sich ausweinen oder Rat holen könnten.

Der Film taugt auch als Parabel: Wenn ein modernes Paar beschliesst, zusammen zu leben, landen sie auch wie auf einer Insel. Auf einmal zu zweit – wo sie bisher alles allein entschieden und gestaltet haben. Auf einmal ohne alle anderen – Familie, Freunde, WG-Genossen sind weit weg. Da ist man nun – mit allen romantischen Erwartungen und allen Banalitäten des Alltags – und hat die Aufgabe, das Glück in vier Wänden zu finden.

Zweifellos werden die beiden Intimität erleben. Aber auch Revierkämpfe und Abgrenzung. Jede Partnerschaft stösst irgendwann an alle existenziellen Schatten. Einige Regeln helfen: z. B. klare Räume und Zeiten des Alleinseins und des Zusammenseins, Austausch über Erwartungen und Werte, Gesprächs- und Zuhörrituale, um auch schwierige Dinge auszusprechen  … und mehr. Doch das Kernproblem bleibt: Es gibt nur noch uns. Kein menschliches Bett um uns. Kein Schiedsrichter bei Konflikten. Niemand Unbetroffenes, der eine Situation offenhalten, über ein Missgeschick lachen und eine neue Brücke bauen kann. Immer nur du und ich, du und ich. Ping und Pong.

Anfangs ist es aufregend herauszufinden, warum der andere ganz andere Schlüsselreize hat als man selbst – sich in einer bestimmten Situation verletzt fühlt – sich auf einmal rar macht – und dann wieder ganz abhängig wirkt. Wir stellen fest, dass wir uns noch kaum kennen: «Was sollen wir heute zusammen machen?» «Ich weiss nicht, vielleicht mal etwas alleine?» «Du hast den Nachbarn so intensiv angeschaut, gefällt er dir?» «Fragst du das aus Interesse oder bist du eifersüchtig?»

Fragen wirklich wahrheitsgemäss zu klären, ohne sich zu verletzen, ist zu zweit schwierig bis unmöglich. Ausweichen können wir ihnen auf Dauer aber auch nicht, ohne Schweigefelder zu erzeugen. Und Schweigefelder sind, was eine Beziehung welken lässt.

Deshalb finde ich: Jedes Liebespaar, das eine lebendige Beziehung wünscht, braucht einen Engel. Einen Beziehungs-Engel. Mindestens einen. Damit meine ich einen Menschen, dem beide vertrauen, vor dem sie kein Blatt vor den Mund nehmen müssen und der oder die auch mal Klartext mit Herz spricht. Jemand, der einen Raum halten kann, wo man nicht gleich auf alles reagieren muss – sondern erst einmal wahrnimmt und zuhört. Jemand, der nicht zum einen oder zur anderen hält. Sondern zu beiden.

Ich meine das ernst: Ohne einen oder mehrere Beziehungs-Engel, die wir immer ansprechen können oder die uns ansprechen, denen unsere Partnerschaft am Herzen liegt, die wir irgendwie in unsere Intimität mit einbeziehen, erleiden die meisten Liebesbeziehung irgendwann Schiffbruch. Und nicht immer gibt es dann eine Blaue Lagune.

Leila Dregger ist Journalistin und Buchautorin. Sie begeistert sich für gemeinschaftliche Lebensformen, lebte u. a. über 18 Jahre in Tamera, Portugal, sowie in anderen Gemeinschaften. Am meisten liebt sie das Thema Heilung von Liebe und Sexualität sowie neue Wege für das Mann- und Frau-Sein.

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