Gibt es Regeln und Gesetze in Beziehungen?

Jede Liebesbeziehung ist ein Vertragswerk. Beziehungen und Sozialgefüge definieren sich durch die Regeln, die die Partner, ausgesprochen oder unausgesprochen, aufstellen. Das lernte ich kürzlich in einem Workshop. Aber … stimmt es überhaupt?

Betrachten wir unsere Beziehung doch einmal genauer! Spüren wir die unausgesprochenen Abmachungen auf! Diese beginnen beim Haushalt: «Kümmere du dich um den Abfall, ich mich ums Einkaufen.» – gehen über soziale Vereinbarungen: «Ich rede dir nicht in deine Freizeitaktivitäten rein, dafür treffe ich mich mit meinen Freundinnen, so oft ich will.» – bis zur Verteidigung der Beziehungsgrenzen. Zum Beispiel: «Flirten mit anderen ist erlaubt, aber nur unverbindlich und ohne körperliche Berührung.» Oder: «Du darfst alles machen, so lange ich nichts davon erfahre.» … oder im Gegenteil: «Wenn du mir etwas verschweigst oder mich anlügst, dann ist Schluss.»

Beziehungsregeln werden meistens subtil, also non-verbal verhandelt. Manchmal widersprechen sie sogar dem, was wir einander in Worten sagen. Das kennen wir wohl alle: «Nein, es macht mir nichts aus, wenn du unser Wochenende absagst, auf das ich mich gefreut habe, du bist doch ein freier Mensch.» – «Ich eifersüchtig? Ach was. Geh doch mit deiner neuen Kollegin essen.» Sagt sie oder er – und bestraft dich hinterher mit eigenen Vertragsbrüchen.

Vom Beziehungspartner erwartet man meistens, die Regeln und Grenzen zu kennen und zu berücksichtigen, oft ohne sie ausgesprochen zu haben. Wer sie überschreitet, wird darauf aufmerksam gemacht. Wenn man nicht gelernt hat, seine Bedürfnisse zu formulieren, lässt man den anderen spüren, dass er etwas falsch gemacht hat: Bei den einen reicht dafür ein kühler Blick. Beim anderen ein handfestes Drama. Im extremen Fall die Trennung. Das alles läuft meist im subtilen Bereich. Die meisten wären überrascht, wenn sie sehen könnten, wie strategisch und zielsicher sie oder ihre Partner scheinbar impulsive Reaktionen einsetzen.

Doch wir können lernen, zu benennen, was uns verletzt oder Angst gemacht hat – und ggf. gemeinsam neue Regeln aushandeln. Das war das Ziel des Workshops: Als Erwachsene sich unserer Beziehungsregeln bewusst zu werden und etwaige Änderungen gemeinsam zu besprechen. Denn Menschen entwickeln sich weiter, ebenso eine Liebesbeziehung. Wünsche und Bedürfnisse ändern sich: mehr Freiraum oder mehr Verbindlichkeit. Solche Konflikte sollten wir nicht umgehen, aber kreativ und mit Wohlwollen austragen. Etwa so: «Auch wenn ich weiss, dass du die Abende mit mir verbringen möchtest – ich möchte diesen neuen Abendkurs belegen. Vielleicht können wir dafür an den Wochenenden etwas Intensives zusammen machen?»

So weit, so gut. Ich persönlich – und da mag ich hoffnungslos romantisch sein – möchte aus meiner Liebesbeziehung kein Vertragswerk machen. Lieben heisst auch, zu schenken und sich beschenken zu lassen. Möglicherweise will ich mir eine Freiheit nehmen, ohne dafür etwas schuldig zu sein. Oder möchte, dass mein Partner alles tun darf, was ihn glücklich macht. Dass wir beide genau das tun, was wir wollen und uns darin vertrauen. Ist das nun Freiheit? Oder meine unbewusste Beziehungsregel?

 

Leila Dregger ist Journalistin und Buchautorin. Sie begeistert sich für gemeinschaftliche Lebensformen, lebte u. a. über 18 Jahre in Tamera, Portugal, sowie in anderen Gemeinschaften. Am meisten liebt sie das Thema Heilung von Liebe und Sexualität sowie neue Wege für das Mann- und Frau-Sein.

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